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Glücklich die Pferde auf ihrer Koppel
Der Videokünstler Ulrich Polster kombiniert sparsame Bilder zum großen Panorama: Das Leben
Nichts besonderes eigentlich, antwortet Ulrich Polster lapidar auf die Frage, was er vor dem Kunststudium in Leipzig gemacht habe. “So die klassische DDR-Karriere: Einen Beruf gelernt, Nachrichtentechniker; kurz in dem Beruf gearbeitet, aufgehört, verschiedene Jobs gemacht, Bratwürste zur Messe verkauft, im Museum Ausstellungen auf und ab gebaut und als Aufsicht gearbeitet, Straße gekehrt. Und mich nebenbei autodidaktisch mit Kunst beschäftigt.”
Geboren 1963 in Frankenberg, sucht Polster früh eigene Wege und geht sie. Noch nicht “volljährig” verlässt er das Elternhaus in Hainichen, zieht nach Karl-Marx-Stadt. Chemnitzer Künstler wie Thomas Florschuetz und die radikalen Gesten des Klaus Hähner Springmühl haben ihn bei seinen eigenen Fotografien beeinflusst. “Der erste Impuls kam nicht aus dem Wunsch, Kunst zu machen, ich hatte damals keinen Namen dafür. Es war eine Beschäftigung mit mir selbst, um zu versuchen, in dieser ganzen Absurdität klarzukommen, was sowohl der Staat ist, aber auch die Existenz an sich.” Als Mitzwanziger wechselt Polster nach Leipzig, den Armeedienst verweigert er. “Ich konnte mir nicht vorstellen, mich da anderthalb Jahre dirigieren zu lassen. Das hatte nichts damit zu tun, dass ich nicht schießen wollte oder so was. Aber es war ein unmöglicher Gedanke, dass ich mich da anderthalb Jahre einsperren lasse.”
Die ersten Filme auf Super 8 hat er schon in Chemnitz gemacht. “Crisis” ist jetzt in der Ausstellung revision.ddr im Leipziger Bildermuseum zu sehen. Es ist ein Film über zwei, die sich belauern, bewachen, nicht zueinander kommen, über die Unmöglichkeit der Flucht. Polster zielte offenbar von Beginn an auf Grundsätzliches. “Crisis” ist weniger ein Beziehungsfilm als einer über die Grenzen der menschlichen Psyche.
Seine späteren Videos sind oft sparsame, schnelle Stakkatos sich wiederholender Bilder. Er kombiniert kleine Sequenzen, Abstraktionen von Erzählungen, symbolische Gesten und Szenerien. Andererseits benutzt er gern quälend lange Einstellungen. Andrej Tarkowski, Ingmar Bergmann, Samuel Beckett, Francis Bacon und Bruce Nauman nennt er zuerst als Künstler, die ihn maßgeblich beeinflussten. Das ist wahrlich kein leichtsinniges Quintett. Der gemeinsame Nenner könnte höchstens lauten, dass sie all das zeigen, was Menschen psychisch erleiden, allein aus der Tatsache heraus, dass sie sind, wie sie sind.
Bereits 29 Jahre ist Polster alt, als er 1992 nach einigen Jahren als freischaffender Fotograf mit einem Kunststudium beginnen kann. Die Medienabteilung der Hochschule für Grafik und Buchkunst ist im Aufbau, die Grenzen zwischen den Abteilungen sind durchlässig. Polster belegt Fotografie, als erstes macht er Siebdruck und Videoschnitt. Dem Vordiplom folgt ein Jahr in New York, anschließend nutzt er ein Jahrestipendium für London. Danach setzt er das Studium in Leipzig fort. Er macht bei Astrid Klein Diplom und wird bis 2003 ihr Meisterschüler. Vertreten wird er seitdem von der Galerie Jocelyn Wolff in Paris.
Polster setzt meist auf elementare, einprägsame Momente. Eine geballte Faust wird geöffnet. Hände verfehlen sich und werden als Würde des Alters einfach vorgezeigt. Eine Cellistin, eine Sängerin, konzentriert am Werke. Jemandem wird mit lautem Geräusch der Teppichboden unter den Füßen weggezogen, wieder und wieder. Eine Frau haut einem Begleiter vor’s Schienbein. Mann und Frau wollen sich jeweils auf einen Stuhl setzen und stürzen im endlosen Loop wieder und wieder hin; stehen natürlich immer wieder auf. Ausnahme in Komplexität und Kulisse sind rauschlaute Aufnahmen von der Loveparade. Dann wieder monotones Regenrauschen, ein Paar in der Ferne, oder auch zwei Pferde vor einem strahlenden Rapsfeld.
Solche Bilder lässt Polster gern in leuchtenden Kästen aufscheinen oder kombiniert sie zu raum-ergreifenden Videoinstallationen, die dann schlicht und alles “La Vie” heißen, das Leben. Einzelne Sequenzen benutzt er dabei immer wieder. “Das ist ja wie im Leben, dass es Material gibt, dass einen nicht loslässt, dass man immer wieder verändert und in einen neuen Kontext setzt. Und so etwas, wie den Boden unter den Füßen zu verlieren, das ist ja ein starker Moment, und eine starke Aussage.”
In einigen Sequenzen bildlicher Schönheit und ein paar ironischen Sekunden machen diese Videos auch Spaß. Das tollende Pferdepaar im leuchtenden Gelb ist sogar eine pure Feier überströmender Lebensfreude. Insgesamt jedoch scheint die Lage zwischen den Menschen schlecht. Dieser Eindruck ist allerdings eine Ahnung, die sich erst reflexiv herstellt. Die Videos selbst sind puristisch kurz. Sie fesseln bildlich, sowohl als trommelnde Videoästhetik als auch quälend gedehnt wie in “Frost II”, zusammen mit dem Komponisten Thomas Christoph Heyde. Pathos kommt zuweilen auf, wird jedoch durch Konfrontation mit schnelleren Bildern gestoppt. “Das sind ja alles so Zustände. Die stehen neben einander, ohne dass sie von mir gewertet werden. Für mich ist wichtig, die Dinge offen zu lassen.”
Freilich ist das kurz und knapp nebeneinander vorgezeigte zu wichtig, als das es kalt lassen könnte. “La Vie” stellt Konkurrenz und Aggressivität, Fremdheitsgefühle und ferne, geträumte Zweisamkeit zusammen. Daneben toben Dancer, trotz ihrer lauten Exhibition einsame Wesen. Aber schließlich lässt Polster zwei glückliche Pferde umherjagen, und es duftet nach Raps. Die emotionale Wirkung entsteht als Nachhall, sie ist Methode: “In einer Welt, in der emotionale Aspekte immer weniger eine Rolle spielen, ist Kunst vielleicht so ein letztes Refugium, wo es vielleicht noch um Emotionen gehen könnte.”
Dr. Meinhard Michael ist Kunsthistoriker und lebt in Leipzig