besprechungen
absence - hajo schiff /besprechung
ulrich polster - absence - vorbild fremdbild lichtbild und narziss /von hajo schiff
Der Berliner Künstler Ulrich Polster zeigt in seiner fünften Einzelausstellung
in der Galerie Jocelyn Wolff bewegte und inszenierte Bilder, die sein
Italienerlebnis spiegeln. Zu Gast im Refugium der deutschen Romantiker in
Olevano Romano wurde ihm die klassische Landschaft und Kunst durch den Tod
seiner Mutter im fernen, heimatlichen Sachsen zu einer durchaus ambivalenten und
stark gebrochen Erfahrung, in der sich Schönheit und Trauer begegnen. Zwischen
meditativer Filmprojektion und interaktiver Photoerweiterung bis zu
existenziellen Bildmarken in Doppelprojektion wer- den Bilderfahrungen befragt
und erweitert.
Im Spiegel des Selbst auf die vorgefundene Welt mischen sich mediale und
individuelle Bilder und finden zudem in einer – auf wunderbare Weise redenden –
Lichtinstallation ihre metaphysische Aufhebung.
stalker material - matthias lindner - gefangen in der zeit /besprechung
gefangen in der zeit /von matthias lindner
“The machine-gun-man on the motorcycle.” Die Projektion eröffnet mit Worten des Zeitzeugen Arvo Iho, den einzigen verständlichen Sprachelementen der Videoinstallation. Der damalige Praktikant am Set bezeugt damit den Ausgangspunkt des Polsterschen Videos - die ehemaligen Drehorte von Tarkowskijs Stalker. Im Laufe der 40 Minuten wird Polster weitere typische Tarkowskij-Szenen und -Atmosphären modifizieren: die Bahnfahrt und den Wasserfall, die großen Nebelflächen, Feuer, Ruinenlandschaften. Ästhetischer Ausgangspunkt für Tarkowskij war immer die Idee für einen Film, die Erzählung einer Figur in ihrem unlösbaren Gefangensein in der Zeit. Er suchte dafür filmische Bilder, die einer poetischen Logik folgen, weil sie auf Beobachtung basieren. “Meiner Meinung nach steht die poetische Logik den Gesetzmäßigkeiten der Gedankenentwicklung wie dem Leben überhaupt erheblich näher als die klassische Dramaturgie.” (Andrej Tarkowskij, Die versiegelte Zeit, 1984, dt.: Frankfurt 1986, S.22)
stalker material - hajo schiff - hinter die bilder gehen /besprechung
hinter die bilder gehen /von hajo schiff
REISE
Alles beginnt mit einem Bild - und es wird auch bei diesem Bild enden. Was sich
dazwischen zu einer 39-minütigen, 7-kanaligen Videoprojektion weitet, ist ein
daraus abgeleiteter Strom der Assoziationen, Interpretationen und Wirkungen.
Eine hochgradig subjektive Bilderwelt entführt, nicht unähnlich dem filmischen
Vorbild, Tarkowskijs Stalker, nach einer Bahnfahrt in eine nie genau zu
erfassende ZONE hinter dem Bild und zwischen den Bildern. Und dort ist alles
nicht nur das, als was es erscheint. Seltsame Erklärungen, schnelle
Kamerafahrten und viele ruhige, oft idyllische Momente entführen in eine Welt,
in der die resignative Müdigkeit des schnellen Bescheidwissens, des
Immer-schon-alles-gesehen-habens nichts mehr gilt. Denn die Wahrnehmung wird
fragwürdig. Was ist das, was da zu sehen ist?
stalker material - claus löser - schlafende bilder /besprechung
schlafende bilder /von claus löser
Ausgerechnet am 1. Mai 1981 lief in einigen Kinos der DDR Andrej Tarkowskijs Spielfilm Stalker an. Die Kunde von diesem seltsamen, rätselhaften, philosophischen, in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Werk verbreitete sich in den Kreisen der nach Auswegen aus dem geistigen Dilemma der realsozialistischen Alltagsexistenz suchenden Menschen wie ein Lauffeuer. Wie war dies möglich? Dass uns ausgerechnet aus der Sowjetunion ein Film erreichte, der diese verborgenen Saiten in uns anschlug? Denn das Verblüffende war, dass wir uns in dieser scheinbar hermetischen Welt der Zone sofort heimisch fühlten. Dies beileibe nicht, weil die DDR im Volksmund bisweilen noch immer als Zone bezeichnet wurde! Dieser banale Zusammenhang kam uns nicht in den Sinn. Vielmehr schien es, als würden durch diesen Film Stimmungen formuliert, die schon lange in uns schlummerten, als würden durch den Stalker quasi schlafende Bilder geweckt. Es sagt sich schnell dahin, dass ein einziges Kunstwerk in der Lage sein könnte, eine ganze Generation zu prägen. Da müsste erst einmal geklärt werden, wie diese Generation zu definieren ist. Dennoch scheint mir eine solche Prägung hier vorzuliegen. Es gab ein Leben vor Stalker. Und es gab ein anderes danach.
report - dieter daniels /besprechung
ulrich polster - report /von dieter daniels
Auf sieben Monitoren laufen parallel Ausschnitte der Fernsehberichte über die Jugoslawienkriege, den 10-Tage-Krieg in Slowenien im Juni 1991 sowie zum Massaker von Srebrenica im Juli 1995. Polster hat für diese Arbeit von Juni 2011 bis Juli 2015 einen Großteil der relevanten Wiederholungen der Tagesschau vor 20 Jahren des Digitalsenders tagesschau24 (lief bis 2012 unter dem Namen ARD EinsExtra) aufgenommen. Aus diesen rund 200 Stunden Material hat er die Berichte zu Jugoslawien herausgefiltert, um sie in einer verdichteten Montage auf sieben zeitgleich sichtbaren Videokanälenneu sichtbar zu machen.
notturno - christoph tannert /besprechung
ulrich polster - notturno /von christoph tannert
Ulrich Polster, aufgewachsen in der Zeit des Kalten Krieges in der DDR, spürt in
seiner Ein-Kanal-Projektion”Notturno” seinen eigenen ästhetischen Prägungen
nach. Weil der Künstler seine Video-Werke von ihrer malerischen Seite her denkt
und besonderen Wert legt auf das Zur-Geltung-Kommen ihrer bildlichen Präsenz hat
er sich für die Verwendung einer Plexiglasscheibe als Projektionsfläche
entschieden.
Es ist, allen eingestreuten Ironie-Signalen zum Trotz, dem Künstler tatsächlich
heiliger Ernst um den Kern der sozialistischen Moderne.
In einem offenen Miteinander vieler verschiedener visueller und akustischer
Quellen und Ausdrucksformen wuchert die Komplexstruktur dieser beeindruckenden
Video-Arbeit.
unstern - christoph tannert /besprechung
ulrich polster/christine scherrer: unstern /von christoph tannert
Es gibt Bildflüsse, die sind wie yogische Leitfäden und klingen doch nicht esoterisch. Sondern wie Entspannungstherapien, nur ohne didaktischen Ton. Die Video-Dreifachprojektion Unstern von Ulrich Polster (Visuals) und Christine Scherrer (Sound) ist die wohl verstörendste und zugleich wohltemperierteste Entdeckung des Entlegenen, die in den vergangenen Monaten in Deutschland produziert wurde. Wir werden in Zeitzonen und Räume entführt, nur um zu spüren wie sich das Grauen ferner Welten schleichend zwischen Beckenboden und Großhirnrinde einnistet.
bih - astrid mania /besprechung
bih /besprechung
Die Komplexität dieser Ausstellung [Trouble With Realism] und ihrer Gedankenbezüge bündelt sich vielleicht am eindringlichsten in dem kurzen Video von Ulrich Polster. Wenige Minuten lang sieht man, Claude Monet lässt grüßen, einen Heuhaufen. Ob man aber ein Standbild erblickt oder eine filmische Aufnahme, lässt sich schwer entscheiden. Man meint zu beobachten, wie sich Dunstfetzen leicht bewegen, aber dies mag auch nichts weiter als Täuschung sein. Aufgebrochen wird die kunsthistorische Referenz durch den Titel des Werks: Bosnien and Herzegowina (Han Pijesak, Republika Srpska, 07.08.2007).